Vier Tannenbäume

 
Vier Tannenbäume standen angelehnt am Hofzaune. Sie waren zu gleicher Zeit hingestellt, aber sich dennoch fremd, denn im Heimatwalde hatte eines den anderen nie gesehen. Ihre Zweige waren zerzaust, Fäden hingen vereinzelt in dem Grün, hier und da schimmerte Silberflitter. Alle vier erkannten, daß sie als Weihnachtsbaume gedient hatten und es dauerte nicht lange, da war ihre Freundschaft geschlossen. Wie stolz hatten sie sich gefühlt mit all dem Flitter, den brennenden Kerzen, aber nun standen sie verlassen am Zaun, das war nicht schön.
 
Der große stattliche Christbaum meinte, so etwas prächtiges, wie ich geschaut, ließ ich mir draußen im Walde nicht träumen. Silber= und Goldkugeln hingen an meinen Zweigen. Gold= und Silberflitter, Zucker und Marzipan. Und als die Lichter brannten, war ich überrascht und blickte erstaunt um mich, von allen Seiten strahlten mir geputzte Tannenbäume entgegen, aber dann erstaunte ich noch mehr, das war ich selber überall hingen große Scheiben, wie spiegelblankes Eis, ich konnte mich selbst darin sehen und bewundern, wie man mich aufgeputzt hatte. An den Wänden hingen alte Gemälde, die belebt aus ihren Rahmen zu mir hernieder zu schauen schienen. Eine silberhelle Glocke ertönte, die Flügeltüre flog auf, viele weißgekleidete Kinder sprangen herein, glückselig, strahlend, Damen und Herren folgten ihnen. Die Kinder jubelten und packten ihre Geschenke aus. Da stand sogar eine Equipage mit lebenden niedlichen Ponys. Die Damen hielten glitzernde Steine in den Händen und lange Goldketten, die sie lächelnd betrachteten. Das war der erste Abend, ihnen folgten noch viele schöne, ich war schon ganz eitel geworden und freute mich, wenn wieder ein Abend gekommen, an welchem ich mich an strahlenden Bilde erfreuen konnte. -
Bei mir war es etwas anders, erzählte der zweite Tannenbaum. Ich war von weißen zarten Händen aufgeputzt, zwei allerliebste Geschöpfe waren es, welche mich schmückten. Sie plauderten von den kleinen herzigen Buben und Mädchen, für die ich bestimmt war. Sie packten allerlei glitzernde Sachen aus und vieles zum Naschen, wie sie sagten. Ein Diener brachte mich über die Straße, es war nicht weit. Ich sah, wie sich zwei Augen mit Tränen füllten, ich hörte ein geheimnisvolles Flüstern und ward in ein dunkles Zimmer hingestellt. Am Abend brannten meine Kerzen, rotwangige Buben und Mädchen stürzten herein, ich sah glückliche und strahlende Kinderaugen. Auf einem Instrument spielte ein kleines Mädchen süße Melodien, die anderen sangen dazu. Ich gefiel ihnen, sie bewunderten mich und entdeckten immer wieder etwas Neues an Körbchen, Sternen, Figuren, daß ich mich freute und in meiner Umgebung sehr wohl mich fühlte.
Der dritte Tannenbaum erzählte, daß er ein stilles, häusliches Glück geschaut, die junge glückliche Mutter an der Seite ihres Gatten und das blondhaarige Baby auf ihrem Arm, welches immer wieder die Händchen nach seinen Lichtern ausstreckte.
Nun erzähle du, bat man den vierten Tannenbaum. Er räusperte sich und begann: Ich stand in einem Krankenzimmer. In weißem mit Spitzen besetzten Kissen lag ein bleicher Mädchenkopf. Die schwarzen Haarlocken fielen herab auf das Kissen, die Hände lagen matt auf der Decke. Sie blickte mich an mit ihren dunklen Augen, darin lag ein seltsamer Schimmer. Nun ward an der Türe geklopft, eine Männergestalt trat ein, ich sah, wie er seinen Schmerz gewaltsam niederkämpfte. In der Hand hielt er eine Blume. Hier Kind, sagte er, da ist die Christrose, die du dir gewünscht, die einzige im Garten. Sie lächelte und drückte die Blume an ihre Lippen. In der Nacht sah ich etwas Seltsames. Ein Engel schwebte hernieder ins Zimmer und beugte sich über die Schlafende. Diese ward unruhig auf ihrem Lager, dann vernahm ich keinen Atemzug mehr. - Das ist meine Geschichte! - Alle schweigen. - - - 
 
©  Maria Bornemann Bigge  (Sauerland)

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