Weiße Rosen
Auf einem Grabe dicht an der Kirchenmauer
blühten weiße Rosen. Solche hatte noch niemand
gesehen, es war der einzigste Strauch auf dem ganzen
Friedhof. Neugierige zog es zu der Stelle hin und
man bewundert die blasse Blume mit den gelben
Staubfäden. - Die Vögel flogen hinüber und schau-
kelten in den zarten Ranken und der Zaunkönig duckte
sich unter die feinen weißen Blüttenblätter.
Woher stammt ihr eigentlich fragte der muntere Zeisig
eine eben erblühte Rose? Das ist eine eigene Geschichte
gab sie zur Antwort; wenn du es fertig bringst, still
zu sitzen und zu horchen, will ich dieselbe erzählen. -
Der Zeisig versprach auf jedes Wort zu lauschen und
die Rose begann:
Es war eine stürmische Nacht. Trüb brannte das
Licht in einem kleinen Raume und fiel matt auf das
Lager einer kranken. Ausgestreckt lag diese auf dem
Lager. Der Atem ging schwer und stoßweise, dann
war das Lebenslicht erloschen und kalt und starr blieb
der Leib zurück. Man bettete ihn unter diesen Hügel,
nur wenige Leute waren zugegen als der Priester das
Grab einsegnete.
Wie kommt es eigentlich, daß dieser Mensch gebrand-
markt und gemieden wurde, erkundigten sich einige ?
Die anderen zogen die Achsel!- -
Für die tote war das leidvolle leben zu Ende,
aber die Menschen schwiegen immer noch nicht und der
Worte Stachel flog weiter. -
Auf deinem Grabe soll die Unschuld leuchten, sagte
der liebe Gott zu jener Seeligen im Paradies und er
formte eine seltene schöne Blume und in seiner Hand
entstand ein dorniger Strauch. Das war der Dornen-
pfad, der ihr im Erdenleben gewesen, aber an dem
Dornenstrauch blühten wunderbare weiße Rosen. -
Er sandte einen Engel mit dem Rosenstrauch zu dem
stillen Friedhof und dieser setzte ihn auf den Hügel. -
Niemand hatte das Grab gepflegt, man wunderte sich
über die blendent weißen Rosen, mit den gelben Staub-
fäden, die so eigenartig glänzten und eine eigene Sprache
zu reden schienen.. -
Da verstummte der Mensch böses Gerede. Sie
kamen und holten Stecklinge und setzten diese an andere
Orte. Da wuchsen und blühten auch dort weiße Rosen
und überall wohin sie gepflanzt wurden, ging von ihnen
ein eigenartiges Leuchten aus, es sprachen die feinen
Blüten von der Unschuld einer Toten. Heute ist diese
seltene weiße Rose über die ganze Erde verbreitet, wir
aber hüten das Grab wie ein Heiligtum. Da schwieg
die Rose! -
Der Zeisig aber saß noch immer still und in Gedanken
versunken.
©Maria Bornemann Bigge