Giftpflanzen

 

 

 

Giftpflanzen

 

 

Es war ein heißer Sommertag; auf Felsen und Klippen brannte die Sonne. Keines Menschen Fuß schien die Gegend zu betreten, denn hier vereinigte sich ein großer Wirrwarr von Ranken und Gebüsch. Und doch, welch köstlicher Anblick! Goldgelbe lange Traubenblüten hingen herunter und daneben gab´s ganze Flächen mit blauroten Blüten, deren Stengel hier in der Wildnis Manneshöhe erreicht hatten. Die vierblätterige Einbeere fand keinen Platz unter ihnen und flüchtete an den Felsen, um unter den Sträuchern Schutz zu suchen und da fand sie Gehör und Verständnis für ihr Empfinden, denn Gleich und Gleich gesellt sich gerne, der Strauch, mit der sie Freundschaft geschlossen, war die Tollkirsche. - - In ihren Adern floß ein wilder Saft, ihr Genuß brachte Qual und bitteren Tod. - Ein blondlockiger Knabe starb in Krämpfen, in den Armen einer untöstlichen Mutter, weil er von den Beeren genossen. Beerensuchende Kinder hatten sich an der vierblätterigen Einbeere vergriffen und erlitten ein gleiches Schicksal. Auch der rote Fingerhut richtet entsezliches Unheil an und Gift stieg aus den Wurzeln des großen Strauches, mit den goldgelben Traubenblüten, den die Menschen den Goldregen nannten.

Mit der Zeit ward die Gegend der unheilstiftenden Pflanzen und Sträuchern gemieden; aus den Gärten waren sie schon lange verbannt worden.

Es war an einem lauen Juni – Abend, als der Mond hell auf Felsen und Klippen schien. Da stiegen Klagen auf, aus Busch und Blüten, denn so war es nicht immer gewesen, giftlos hatten sie einst geblüht, zur Zierde und Freude und zum Nutzen der Menschen. Wie schön war das gewesen! Aber es war Vieles anders geworden, seit Gott den Fluch über die Erde ausgesprochen. Weshalb hatte der Fluch Gottes gerade sie getroffen, während die anderen Pflanzen weiter blühten, giftlos wie ehedem. Vor ihnen fürchtete man sich! - Kinder welche ihre Händchen nach den leuchtenden Blüten ausstreckten, nach den glänzenden verlockenden Früchten, wurden gewarnt, man fürchtete sich vor ihnen und ihre Früchte und Blüten hingen wie eine große Warnungstafel.

Da versteckte sich der Mond hinter einer großen Wolke und als er wieder hervortrat, sahen die klagenden Giftpflanzen, wie der Hergott durch die stille Welt schritt und zu dem Abhang lenkte. Sein milder Blick traf die klagenden Giftpflanzen und sie erzitterten bis in ihre Wurzeln. - - Indem er nun vörüberging erkannten sie ihre Bestimmung. - - Den gefunden Menschen sollten sie zur Warnung dienen, den Kranken und Fiebernden als Arznei, Linderung und Heilung bringen. Die Menschen würden die Heilkraft bald erkennen und gebrauchen. - -

Da verstummte der Giftpflanzen Klage, sie waren mit ihrem Los zufrieden und dankten Gott für die Aufgabe, welche sie für die Menschheit zu erfüllen hatten.

 

© Maria Bornemann Bigge (Sauerland)

 

 

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